Dead Sea Day

16Juni2022

Schon wiiieder früh aufstehen - dabei ist heute doch Feierteg in Deutschland, und schulfrei. Solche Proteste hört man von der Gruppe nur ganz gelegentlich - auch weil es sich inzwischen rumgesprochen hat: wer eine Menge sehen will, der muss früh losfahren - schon wegen der sommerlichen Temperaturen. Majdi ist mit seinem Bus pünktlicher zur Stelle, als alle Busfahrer Deutschlands zusammen (und pünktlicher als die Bahn sowieso). Bei frischen 22 Grad und einem kühlenden Wind besteigen heute nur 24 Schülerinnen und Schüler den Volvo-Bus Richtung Totes Meer. Wegen leichter Symptome lassen wir einen Schüler in der Obhut der Borromäus-Nonnen - der Rest rollt mit Majdi aus der 700m hoch gelegenen Heiligen Stadt den Berg hinunter in den Jordangraben, in dem nicht nur ser gleichnamige Fluss, sondern auch das Tote Meer zu finden ist.

Nach 30 Minuten Fahrt hält die Exkursion kurz am "Sea Level" Parkplatz. Er liegt, wie der Name schon sagt, auf Null Meter Seehöhe. Der kühle Wind ist hier einem Luftzug gewichen, der einem Haarfön auf Stufe 3 verdächtig nahe kommt. Die ganze Gegend sieht so was von ausgetrocknet aus und weit und breit ist kein Grün mehr zu sehen. Eigentlich erblickt das noch etwas verschlafene, aber geschulte Auge des Montessorischülers hier überhaupt nichts als graubraune in Schichten zusammengebackene Sandhaufen - und ein Kamel, dessen Besitzer heute vergeblich auf touristische Jockeys wartet. Aber genau deshalb halten wir hier. Hier ist nichts als Wüste.  Irgendjemand hat diese Leere wohl bemerkt und gedacht: so kann das nicht bleiben. Denn seit kurzem wird die Gegend durch eine haushohe Skulptur künstlerisch anspruchsvoll bereichert. Das Ding wurde alledings direkt neben der lokalen Kläranlage platziert und ist so hässlich, dass wir dir, lieber eifriger Leser dieses Blogs, den Anblick ersparen.

Wie schön, dass unser Bus eine gut funktionierende Klimaanlage hat und Majdi auch während unseres Kurzausflugs den Motor hat laufen lassen. Mit angenehmen 20 Grad um die Nase geht die Exkursion weiter.



Am Allenby Bridge Abzweig rechts ab - und da kann man es sehen: In karibischem türkisblau liegt das Tote Meer in greifbarer Nähe, umrahmt von einem weißen Salzrand und mit leichtem Dunst über der Wasseroberfläche. Jeden Tag verdunsten hier bei Temperaturen von über 50°C im Sommer zigtausende Liter Wasser - Wasser, das der hier fast ausgetrocknete Jordanfluss nicht mehr auffüllen kann. Da hier auch nur selten Niederschlag fällt, trocknet der immerhin bis zu 350 Meter tiefe See immer weiter aus. Man kann quasi dabei zuschauen - jedes Jahr sinkt der Wasserspiegel um rund einen Meter. Und salziger wird das Wasser auch - es enthält etwa zehn bis fünfzehnmal mehr Salz pro Liter als die Nordsee. Was aus der Ferne so einladend aussieht ist also bei näherer Betrachtung eine ziemlich ätzende Brühe.

 

Mitten in dieser Einöde haben es aber tatsächlich Menschen geschafft, jahrzehntelang zu überleben. Cleveres Wassermanagement und Vorratshaltung machten es möglich. Da es wenig andere Beschäftigung gab, schrieben die frommen Männer, die hier gewohnt haben, Texte auf Schriftrollen. Die Texte sorgten unter anderem dafür, dass die Wissenschaft  - und später auch der interessierte Laie - einen Einblick in das Alltagsleben jüdischer Glaubensgemeinschaften erhielt.  Auch die Entstehung der heiligen Schrift des Judentums (der Tora) musste danach neu bewertet werden. Tausende Rollen ("Dead Sea Scrolls") lagerten 2000 Jahre lang in den Höhlen am Ufer des Toten Meeres - und wegen des Klimas waren sie nach all dieser Zeit noch lesbar.

Alles ziemlich sensationell, weshalb es hier am See-Ufer eine Ausgrabungsstätte gibt, in der die Geschichte der Dead Sea Scrolls erzählt wird. Wer noch mehr wissen will, der klickt mal HIER.

   

Da die Krefelder Wüstenforscherinnen und Forscher seit dem letzten Stopp schon wieder hundert Höhenmeter verloren haben und die Temperaturen jetzt um 9.30 Uhr morgens schon an der Dreißig- Grad-Marke kratzen, werden die jahrtausende alten Zisternen, rituellen Bäder und die Höhlen, in denen die Rollen gefunden wurden, kurz aber freundlich zur Kenntnis genommen - so wie es sich für ein UNESCO Weltkulturerbe gehört.

Etwas weiter auf derselben Uferstraße hält der Bus am Ahava Visitor Center. Hier konnte man bis vor kurzem mit ansehen, wie die Produkte der weltbrühmten israelischen Kosmetik-Edelmarke hergestellt und verpackt werden. Anfang 2022 ist die Fabrik umgezogen. Es verblieb nur der Outlet-Shop - und da dort jeder Busfahrer Prozente für seine Busladungen mit Touristen bekommt, schaut sich unser Exkursionstrupp im Shop um. Schon bald gehen die aggressiven Verkäuferinnen und Verkäufer mächtig auf die Nerven - und die Preise lösen auch nicht den ganz großen Kaufrausch aus. Immerhin gibt es unter den Krefelder Besuchern auch ein paar Kosmetik-Profis, die hier Mitbringsel für die Lieben daheim erstehen.



Stopp Nummer vier an diesem inzwischen späten Vormittag ist der Naturpark En Gedi.

In En Gedi ist es grün. Mitten in der Wüste sprudelt hier ein munteres Bächlein den Berg hinab, bildet dabei kleine Seen und mehrere Wasserfälle. Tiere und Menschen genießen die schattigen Plätze, die die Palmen und Zypressen hier bieten. Kein Wunder, dass der Ort mehrfach im Alten Testament erwähnt wird, auch in Zusammenhang mit David (das ist der mit dem Goliath - sein Grab besuchten wir ja schon an Tag 2), der sich hier vor ein paar tausend Jahren an einem Wasserfall vor König Saul versteckte.

Über Stock und Stein, durch Schilf und bei gefühlt 40 Grad klettern die Exkursionisten ein kurzes Stück das Tal hinauf. Einige erreichen das Ziel nicht -  David's Wasserfall, ein lauschiges Plätzchen mitten in der Wüste. Schon auf dem Weg locken nämlich kühlende Wasserpfützen, ein Flüßchen und eine Mini-Ausgabe des Wasserfalls. Das reicht den meisten Wanderern heute. Gut, dass alle Teilnehmer an festes Schuhwerk gedacht haben, denn zwischendurch ist es ganz schön glitschig. Die Bergziegen der Gattung Ibex am Hang gegenüber (oder sind es Steinböcke? Oder Gemsen? Oder was?) haben ihrerseits keine Probleme - weder mit den vielen Besuchern, noch mit der Mittagshitze.



Am Wasserfall angekommen sieht die kleine Schar Unerschrockener, dass jemand dort ein wichtig aussehendes Schild angebracht hat. Außer dem roten Ausrufezeichen lässt sich allerdings nichts weiter entziffern. Alles auf arabisch und hebräisch. Und da sich auch die Montessori-Aufsichtführenden allesamt mit Hingabe ihrer Schnürsenkel widmen und minutenlang gar kein Auge für ihre Umgebung übrig haben, nutzen einige erhitzte Wanderer die Gelegenheit, eine exklusive Dusche zu nehmen.

Der Gedanke dabei: was König David vor 4000 Jahren nicht geschadet hat, das kann auch Oberstufenschülerinnen und Schüler nicht erschüttern. Klingt doch logisch, oder?

Alle kommen wohlbehalten wieder am Bus an. Die Geduschten sind längst wieder an der Sonne getrocknet, denn letztere läuft so langsam zur Höchstform auf. Wer auf dem Rückweg durchs Tal ganz genau hingeschaut hat, der konnte über den Zurückkehrenden kleine Dampfwölkchen aufsteigen sehen. Na gut - man musste da schon wirklich gut hingucken.

Jetzt hat der Bus nur noch eine kurze Strecke zurückzulegen, während der das Ausruhen kaum lohnt. Denn 20 Minuten später rutscht rechts der Straße unübersehbar ein imposanter Felsen ins Bild.

Masada ist ein Tafelberg, den man auch zu Fuß erklimmen könnte. Angesichts der En Gedi Strapazen will das aber niemand. Es ist jetzt Mittagszeit in Masada - das bedeutet, dass wir die 40 Grad im Schatten erreicht haben könnten. Sogar die Parkaufisicht hat ein Einsehen, denn der Fußweg ist wegen Hitze gesperrt. Kein Wunder, denn der Weg hinauf hätte gar keinen Schatten gehabt. Daraus folgt logisch: wir nehmen die Bahn.

Eine schmucke Seilbahn Schweizer Bauart fährt dankenswerterweise bis zum Gipfel, also an die Stelle, wo im Jahr 74 nach Christus eine lange Belagerung durch die römischen Invasoren ihr Ende fand. Die Belagerten haben sich lieber selbst getötet, statt in die Hände des Feindes zu fallen. Das finden Israelis bis heute so grandios, dass "der Geist von Masada" heute Teil der soldatischen Grundausbildung ist.

Die Aussicht aus der Seilbahngondel ist noch grandioser als vorher in Qumran. Geneigter Leser, liebe Leserin dieser Zeilen - bitte entschuldige die eingeschränkte Auswahl an Adjektiven für das, was es hier zu sehen gibt. Wenn man den richtigen Platz hat und an seinen schwitzenden Mitfahrern vorbei in die Tiefe gucken kann, wird man mit einem Rundumblick auf die Negev Wüste belohnt - auf mächtige Berge, auf die fast weiße Ebene und auf das Blau des Toten Meeres. Am Kopf des Felsens stehen die Reste des Palastes von Herodes. Schon die Ruinen lassen erkennen: der Mann hatte Geschmack.

Einige findige Gruppenmitglieder haben natürlich sofort die etwas versteckte Treppe zum "Northern Palace" gefunden. Hierhin verlaufen sich eher wenige Besucherinen und Besucher. Die Treppen zum "Palace" sind seitlich in den Fels montiert. Man geht quasi durch das Wadi - wo es dann noch einmal etwas wärmer ist, wenn das überhaupt noch geht. Der Wanderer wird dafür aber auch mit dem freien Blick auf die Ebene und das Meer belohnt.


Zurück in der Talstation stellen wir fest: Die angekündigte Pause in der dortigen Fressmeile (eine freie Übersetzung für "Food Court") kann nicht wie geplant statt finden, da sämtliche Restaurants den Corona Lockdown nicht überstanden haben. Es schlägt nun aber die Stunde des Kioskbesitzers, der mithilfe seiner Mikrowelle den gröbsten Hunger stillen kann.

Und ja, die Kalorien werden gebraucht, denn jetzt fährt Majdis Bus die letzte Station am Toten Meer an. Genauer müsste man das Gewässer "Totes Meer Süd" nennen, denn längst hat der permanente Wasserverlust dazu geführt, dass die einst geschlossene Wasserfläche durch eine breite Sandbank in zwei Hälften geteilt ist. In En Bokek wurde jüngst ein schöner öffentlicher Strand angelegt - so richtig mit Sand, Schatten, Duschen, Umkleiden und Liegestuhlvermietung.

Minuten nach der Ankunft haben die ersten Verwegenen dieses ganz spezielle Gewässer bereits geentert. Es sieht aus, als hätten die Schwimmer vor dem Gang ins Wasser erst einmal eine Luftmatratze verzehrt. Schwimmen wird hier zum Balanceakt - Schwimmbewegung nicht nötig, man schwimmt von alleine und hat die Arme frei für andere Dinge. Man könnte doch in der Bibel lesen, schlägt unser Religionsexperte Andreas Nölke vor. Wenig später sieht man ihn in Rückenlage durch die Fluten gleiten. Dabei liest er seinen Mitschwimmern aus dem Lukas Evangelium vor. Alles möglich mithilfe der Physik schwimmender Körper.



Kann es noch besser werden? Zugegeben - die Reiseleitung hatte bei der Reihenfolge der besuchten Orte hier am Toten Meer die Dramaturgie schon mit berücksichtigt. Nach dem Höhepunkt ist jetzt Chill-Out Time. Trotz der Duschen verklebt, versandet, versalzt, und auch etwas verbrannt - so geht es in 90 Minuten zurück nach St. Charles in Jerusalem. Im Bus herrscht eine fast schon beängstigende Stille. Bei einem Blick auf die Passagiere kommen Zweifel auf, ob bei einigen Teilnehmerinnen die Tiefschlaf-Phase nicht schon eingesetzt hat.

Wie gut, dass es heute Abend im Hospice ein gemeinsames Abendessen gibt. Die Suche nach der besten Falafel-Bude kann heute entfallen. Die Küche des Hospizes ist zur Hochform aufgelaufen. Statt des erwarteten kleinen Abend-Imbisses im Speisesaal gibt es eine formvollendete Grillparty im Klostergarten. Gekühlte geistige Getränke, leckere Salate und einen ziemlich süßen Nachtisch - dazu ein laues Lüftchen und Lichterketten.  Fehlt nur noch, dass jemand "Hava Nagila" oder "Shalom Alejchem" zum besten gibt.


Allzu lang darf der Abend aber nicht werden, denn morgen um 6.15 Uhr in der Früh sollen die Koffer verladen sein. Es geht zurück nach Hause.